"Martín Roca Casa" steht auf einer Broschüre, die im Ort der Erinnerung in Lima zu sehen ist. Es ist der Name eines Studenten, der 1993 nach einer Demonstration verhaftet und vermutlich im Hauptquartier der peruanischen Armee getötet wurde. Seine Eltern sagten 2002 vor der Wahrheitskommission aus. Ihren Bericht und zahlreiche weitere hat das Dokumentations- und Forschungszentrum des Museums inzwischen online zugänglich gemacht.
Credit: Johnattan Rupire / CC BY-SA 4.0
6000 Seiten umfasst der Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission, den diese im August 2003 dem peruanischen Präsidenten Alejandro Toledo übergab. Detailliert beschreibt er Massaker, Morde, Anschläge, Entführungen, Folter und sexuelle Gewalt im Peru der 1980er und 1990er Jahre. Die Verfasser der neunbändigen Dokumentation erhielten anschließend Morddrohungen und Verleumdungsklagen.
Zwei Jahre Zeit hatte die im Juni 2001 eingesetzte Kommission, um Zehntausende Gewalttaten aufzuklären. Unter ihrem Vorsitzenden, dem Philosophieprofessor Salomón Lerner Febres, sammelte sie mehr als 15.000 Zeugenaussagen, machte über 4600 Grabstätten ausfindig und identifizierte annähernd 24.000 Opfer namentlich. Auf Basis einer Hochrechnung kam sie zu dem Ergebnis, dass zwischen 1980 und 2000 insgesamt 69.280 Menschen gewaltsam zu Tode gekommen seien, die meisten in der überwiegend von indigenen Volksgruppen bewohnten Region Ayacucho. In 47 Fällen schlug die Kommission strafrechtliche Ermittlungen vor.
Der Bericht der Wahrheitskommission ist die bislang umfassendste Darstellung des innerperuanischen Bürgerkrieges. Während der erste Band einen Überblick über die Ereignisse gibt, analysiert der zweite die bewaffneten Akteure. Der dritte Band befasst sich mit der Verantwortung von Politik, Justiz und gesellschaftlichen Organisationen. Vier weitere Bände leuchteten dann das mörderische Geschehen im Detail aus: Die Gewalt in den Regionen, typische Ereignisse und Verbrechensformen sowie 73 Fälle, die von der Kommission genauer untersucht wurden. Band acht beschreibt schließlich die Faktoren, die die Gewalt ermöglichten, während Band neun Empfehlungen für Reformen und ein Reparationsprogramm enthält.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern fiel das öffentliche Echo auf den Bericht gemischt aus. Vor allem konservative Politiker und Medien wandten sich dagegen, die Auseinandersetzung mit dem „Leuchtenden Pfad“ als "internen bewaffneten Konflikt" zu bezeichnen. Sie kritisierten, dass den "Terroristen" dadurch der Status von Kombattanten zugemessen werden würde. Der Vorwurf der Komission, dass es sich bei der Gewalt von Polizisten und Soldaten nicht um einzelne Exzesse, sondern um eine systematische Praxis gehandelt habe, stieß insbesondere bei den dafür verantwortlichen Parteien und den Sicherheitskräften auf Kritik. In einer aufgeheizten Debatte wurde der Kommission sogar vorgeworfen, mit dem „Leuchtenden Pfad“ zu sympathisieren. Morddrohungen und – erfolglose – Verleumdungsklagen von Militärs waren die Folge.
Ein Blick auf die auch auf Englisch vorliegenden Schlussfolgerungen zeigt allerdings, dass sich die Kommission sehr um ein abgewogenes Urteil bemühte. Sowohl den Sicherheitskräften als auch den damals verantwortlichen Parteien wird für ihren Einsatz gedankt. Als „unmittelbare und grundlegende Ursache“ für den Ausbruch des Konflikts wird die Entscheidung des „Leuchtenden Pfades“ bezeichnet, den bewaffneten Kampf zu beginnen. Die Kommission kommt allerdings auch zu dem Schluss, dass „im Kampf gegen subversive Gruppen sehr schwere und massive Menschenrechtsverletzungen begangen wurden“, für die „gewählte Zivilregierungen die größte Verantwortung“ getragen hätten.
2019 veröffentlichte der peruanische Ökonom Silvio Rendón eine Studie, in der er die Zahl der Toten mit 48.000 deutlich niedriger schätzte als die Kommission. Für die Mehrheit dieser Toten sei nicht der "Leuchtende Pfad", sondern der peruanische Staat verantwortlich gewesen. In einer Replik wurden Rendón daraufhin methodische Fehler vorgeworfen, weshalb sein Ansatz dem der Wahrheitskommission unterlegen sei.
Zum Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission geht es hier (spanisch). Zu ihren Schlussfolgerungen geht es hier (englisch).
Website des Forschungs- und Dokumentationszentrums CDI (spanisch)
Website der peruanischen Wahheitskommission (spanisch/englisch)
Die Soziologin Anika Oettler über die Arbeit der peruanischen Wahrheitskommission
Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich
Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg
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