matomo

Erinnerungsorte in Argentinien

Hinter diesen vergitterten Fenstern ließ das argentinische Militär einst Tausende Inhaftierte foltern. Heute ist der Folterkeller Teil der Gedenkstätte ESMA in Buenos Aires. Seitdem Argentinien 2011 alle ehemaligen Geheimgefängnisse zu Erinnerungsorten erklärte, entstanden landesweit fast 50 Informationsstätten. 160 weitere Orte wurden mit Tafeln gekennzeichnet. 

Credit: Juan Ignacio IglesiasCC BY-SA 3.0

Gedenkstätte ESMA

Dass sich hinter diesen klassischen Säulen einst eines der berüchtigsten Folterzentren Argentiniens befand, ist auf den ersten Blick kaum zu vermuten. Doch während der Militärdiktatur wurden in dem schmucken Gebäude an der Avenida del Libertador in Buenos Aires Tausende Menschen gequält und getötet. Inzwischen ist die ehemalige Mechanikerschule der Marine (ESMA) eine Gedenkstätte.

Von den zahlreichen Geheimgefängnissen war die Mechanikerschule das größte in Argentinien. Zwischen 1976 und 1983 wurden hier rund 5000 Menschen festgehalten. Im Keller des Gebäudes wurden sie gefoltert, auf dem Dachboden mussten sie angekettet schlafen. Dabei trugen sie eine Kapuze über dem Kopf, weshalb der Trakt auch "Capucha" genannt wurde.

Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen überlebten nur etwa zweihundert Gefangene die Haft. Bei so genannten Todesflügen wurden die Inhaftierten meist tot oder betäubt aus dem Flugzeug über der angrenzenden Bucht des Río de la Plata abgeworfen.

Nach dem Ende der Militärdiktatur diente das Gebäude wieder seinem ursprünglichen Zweck als Ausbildungsstätte der Marine. Doch 1998 ordnete der damalige Staatspräsident Carlos Menem an, die Marineschule abzureißen. In einem Dekret hieß es, dass das Land so die „Widersprüche der Vergangenheit“ hinter sich lassen und den „Willen zur Versöhnung“ zum Ausdruck bringen wolle. An der Stelle des berüchtigten Folterzentrums sollte ein repräsentatives Symbol der nationalen Einheit entstehen.

Die Abrisspläne lösten massive Proteste aus. Angehörige der Verschwundenen zogen dagegen vor Gericht. Sie argumentierten, dass der Ort zum kulturellen Erbe der Nation gehöre und bei Gerichtsprozessen ein wichtiges Beweismittel für die hier verübten Verbrechen sei. Die Justiz gab ihnen recht. Nach jahrelangem Kampf mehrerer Menschenrechtsorganisationen veranlasste Staatspräsident Néstor Kirchner 2004, dass das Gebäude an mehrere Menschenrechtsorganisationen übergeben wurde­  in einer Zeremonie am Jahrestag des Militärputsches. Drei Jahre später eröffneten sie darin eine Gedenkstätte.

Mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Diktatur war von dem Geheimgefängnis nicht mehr viel zu sehen. Die Menschenrechtsorganisationen entschieden jedoch, das Gebäude in diesem Zustand zu belassen und keine Rekonstruktionen vorzunehmen. Im Hauptgebäude wurde eine Ausstellung zum Thema "Staatsterrorismus" eingerichtet. Im einstigen Offizierskasino können Besucher den Folterkeller und den Dachboden besichtigen. 2015 wurde hier zudem eine Dauerausstellung eröffnet, die auf Zeugenaussagen Überlebender beruht.

Das frühere Geheimgefängnis befindet sich in einem 17 Hektar großen Park mit über 30 weiteren Gebäuden. 2007 musste die Marine auch diese räumen. Nach und nach wurden hier weitere Aufarbeitungsinstitutionen angesiedelt. So beschloss die Regierung 2010, den Sitz des Instituts für Menschenrechte auf dem Gelände unterzubringen. In der einstigen Seekriegsschule befindet sich heute das Nationale Gedenkarchiv. Auf dem Areal finden regelmäßig Führungen und Veranstaltungen statt.

Die Gedenkstätte wird von 14 Organisationen betrieben, die unter dem Sekretariat für Menschenrechte des argentinischen Justiz- und Menschenrechtsministeriums arbeiten. Zu ihnen gehören auch die Mütter des Plaza de Mayo (Madres de Plaza de Mayo). Bekleidet mit weißen Kopftüchern, protestierten diese während der Militärdikatur einmal pro Woche vor dem Präsidentenpalast gegen das spurlose Verschwinden ihrer Kinder. In einem eigenen Kulturzentrum auf dem Gelände veranstalten sie heute Ausstellungen, Konzerte und politische Diskussionsveranstaltungen.

Seit 2017 steht die Gedenkstätte auf der vorläufigen Liste der UNESCO als Weltkulturerbe.

Links

Website der Gedenkstätte ESMA (englisch)

Die Gedenkstätte ESMA auf der Website der UNESCO (englisch)

Imagefilm der Gedenkstätte ESMA (spanisch)

Die Sozialwissenschaftlerin Estela Schindel über Erinnerungsorte in Buenos Aires

 

Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich

Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg

Twitter: @afterdictatorship
Instagram: After the dictatorship

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Park der Erinnerung

Wie ein Keil schiebt sich die graue Wand durch den Park an den Ufern des Río de la Plata. Auf den schmalen Steinstreifen stehen unzählige Namen von Menschen, die während der Militärdiktatur verschwanden: "Bruzzone, Marcela, 22 Jahre" kann man dort lesen, oder "Budini, Eduardo Daniel, 19 Jahre". Das Denkmal für die oft blutjungen "Opfer des Staatsterrorismus" ist eine der ersten staatlichen Gedenkstätten, die in Argentinien entstand.

Das Denkmal befindet sich im Park der Erinnerung (Parque de la Memoria) in Buenos Aires, direkt am Río de la Plata. Es erinnert daran, dass die argentinischen Militärs hier, im Mündungstrichter der Flüsse Uruguay und Paraná, Tausende Menschen spurlos verschwinden ließen. Manchmal wurden die Leichen der Getöteten auch ans Ufer geschwemmt.

Die Forderung nach einem Denkmal wurde erstmals 1996 zum 20. Jahrestag des Militärputsches erhoben. Ein Jahr später legten Menschenrechtsorganisationen ein Konzept für die Schaffung eines Erinnerungsparks vor. Es sah vor, die Aufarbeitung mit den Mitteln zeitgenössischer Kunst zu betreiben. Nach der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes durch die Stadt Buenos Aires fand 1998 ein Nationaler Ideenwettbewerb statt, aus dem das Architekturbüro Baudizzone, Lestard, Varas, Ferrari und Becker als Sieger hervorging.

2001 wurde zunächst der Eingangsplatz des Parks eingeweiht. Weitere sechs Jahre vergingen, bis auch das Denkmal der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. 2009 erhielt der Park dann durch das Gesetz Nr. 3.078 einen dauerhaften rechtlichen und administrativen Rahmen. Zuständig ist seitdem ein Verwaltungsrat, dem Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, der Universität von Buenos Aires und der Stadtregierung angehören.

Der Park erstreckt sich über 14 Hektar entlang der Küste des Río de la Plata. Außer dem Denkmal befindet sich hier noch eine Halle für temporäre Kunstausstellungen mit Räumlichkeiten für Workshops, Konferenzen und die Büros der Parkverwaltung. Eine eigene künstlerische Abteilung ist verantwortlich für die Errichtung weiterer Skulpturen in dem Park und für die Durchführung von Wechselausstellungen. In der Halle befindet sich auch ein Informations- und Dokumentationszentrum, in dem Besucher die Datenbank mit den Namen der Opfer auf dem Denkmal einsehen können. Die Halle trägt den Namen PAyS. Die Abkürzung steht für "Gegenwart. Jetzt und Immer" (Presente. Ahora y Siempre) eine doppelsinnige Formulierung, die auch die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass die Demokratie nicht noch einmal einem Militärputsch zum Opfer fällt.

TYPO3-Umsetzung & TYPO3-Webdesign: NetShot