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Zeitzeugenaussagen aus Kambodscha

Über 6000 erkennungsdienstliche Fotos hinterließen die Roten Khmer im Sondergefängnis S-21. Unter den abgelichteten Inhaftierten befinden sich auch viele Jugendliche und Kinder.  Obwohl die Ereignisse mehr als 40 Jahre zurückliegen, sind viele Überlebende bis heute traumatisiert. Die niederländische Nichtregierungsorganisation TPO International“ gründete deshalb 1995 eine Partnerorganisation in Kambodscha. Sie hat bisher mehr als 200.000 Betroffene psychiatrisch unterstützt.

Credit: Hubertus Knabe

„Im Dschungel sah ich viele tote Menschen“

Hang Nget war 16 Jahre alt, als sie 1975 mit ihrer Familie deportiert wurde. Zusammen mit anderen Jugendlichen musste sie Reis anpflanzen und Bewässerungskanäle für Reisfelder ausheben. Mit der Zeit der Roten Khmer verbindet sie vor allem den ständigen Hunger. Ihre sechsköpfige Familie erhielt pro Tag nur drei Dosen Reis, die später auf zwei gekürzt wurden. In einem Zeitzeugenbericht, der von der Nichtregierungsorganisation TPO veröffentlicht wurde, erzählt sie, wie ihr Bruder getötet wurde, weil er heimlich Essen gestohlen hatte.

1976 brach die Dunkelheit über meine Familie herein. Wegen des Nahrungsmangels stahl mein dritter Bruder wiederholt Reisreste aus der Küche. Am Ende wurde er von den Roten Khmer gefasst und schwer bestraft.

Es war ein sehr beängstigender Tag für ihn. Er war zehn Jahre alt und wurde im Reisfeld von drei Wachen der Roten Khmer gefoltert. Sie legten meinen Bruder mit dem Gesicht nach unten auf den Boden und legten ihm ein Holzbrett auf den Rücken. Die drei Wachen standen auf diesem Brett, als es auf seinem Körper lag. Er hatte große Schmerzen und schrie laut zu mir und meiner Mutter um Hilfe. Wir konnten nichts tun, um ihm zu helfen. Wir konnten ihn nur beobachten. Wir konnten nicht einmal weinen. Ich war sehr schockiert und verängstigt. Ich fühlte mich schwach, hatte überhaupt keine Energie und hatte Herzklopfen.

Später, als ich meine Mutter wieder besuchte, erzählte sie mir, dass er getötet worden war, weil er ein Stück Fleisch gestohlen hatte. Meine Mutter wurde Zeuge der Tötung. Sie folgte den Wachen, als sie meinen Bruder verhafteten. Sie befand sich etwa 50 Meter vom Tötungsort entfernt. Sie sah, wie sie meinen Bruder mit einem langen Stock auf den Hinterkopf schlugen und wie sie ihn in einen Bombenkrater warfen und mit Erde bedeckten. Als ich von seinem Leiden hörte, fühlte ich mich in der Brust sehr eng und hatte Schmerzen im Bauch. Mein Körper zitterte. Ich weinte ein paar Tage lang ganz allein. (…)

1979, als vietnamesische Soldaten ankamen, floh ich aus dem Dschungel von Rumlich durch den dichten Dschungel in Richtung des Dorfes Rumpek. Im Dschungel sah ich viele tote Menschen, sogar Kinder. Sie waren verhungert. Ihre Körper waren sehr mager. Ich war sehr erschrocken. Dieses Bild bleibt in meinem Gedächtnis haften, selbst wenn ich meine Augen schließe. Ich fühle mich oft ängstlich, angespannt und habe Herzklopfen. Ich bekämpfe diese Symptome, indem ich mich viel bewege, trainiere und mit brennenden Räucherstäbchen, die den Toten gewidmet sind, für deren baldige Wiedergeburt bete.

Zum vollständigen Bericht von Hang Ngetgeht es hier (englisch).

Links

Zeitzeugenberichte von TPO Cambodia (englisch)

Zeitzeugenvideos der Yale University (khmer) 

 

Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich

Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg

Twitter: @afterdictatorship
Instagram: After the dictatorship

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

"Sie hörten erst auf, als wir das Bewusstsein verloren"

Kim So war ein junger Mönch, als die Roten Khmer im April 1975 in Phnom Penh einmarschierten. Als die Deportation der Stadtbewohner begann, ging er vorsichthalber zurück in seinen Heimatort. Dort musste er in einer mobilen Brigade arbeiten. Da er oft erst sehr spät von der Arbeit zurückkam, bewahrte ihm die Köchin meist etwas zu essen auf. Dem damals 22-Jährigen wurde deshalb vorgeworfen, ein Verhältnis mit ihr zu haben – für die Roten Khmer ein schweres Vergehen. In einem Interview berichtet er, wie es ihm danach erging. Zeitzeugen wie Kim So hat auch das Dokumentationszentrum DC-CAM befragt. 

„Im Oktober 1977 wurde ich verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Sie beschuldigten mich, eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben. Im Gefängnis traf ich einen Mann namens Chan. Er fragte mich: ‚Was haben sie dir vorgeworfen?‘ Ich antwortete: ‚Ich wurde beschuldigt, eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben.‘ Er fragte weiter: ‚Haben Sie das getan?‘ Meine Antwort war korrekt, da ich nichts getan hatte. Er sagte mir dann, dass ich mich an diese Antwort halten solle, sonst würde ich getötet.

Von der Köchin, die Pheap hiess, erwartete ich überhaupt kein Geständnis. Sie sagte ihnen immer wieder, dass die Anschuldigung nicht wahr sei, obwohl sie schwer geschlagen wurde. Auch das war für mich ein Grund, bei meiner Antwort zu bleiben.

Das Gefängnis, gebaut aus Holz und Bambus, war so furchtbar. Es war ein so schrecklicher Ort für die Gefangenen. Unsere Beine waren gefesselt, und wir konnten uns nicht einmal bewegen. Wir konnten nur sitzen und auf eine kleine Mahlzeit warten. Während des Verhörs wurden wir gefoltert. Wir mussten auch am gleichen Ort schlafen, an dem wir aßen und unsere Notdurft verrichteten. Es roch schrecklich, und die anderen Gefangenen schrien, während sie gefoltert wurden. Ich werde nie vergessen, wie sie die Gefangenen während der Verhöre gefoltert haben.

Eines Tages wurden mir die Hände gefesselt und ich bekam Elektroschocks. Ich gab ihnen immer wieder dieselbe Antwort, weil ich nichts falsch gemacht hatte. Als ich bei der Antwort blieb, zogen sie einen Bambusstab heraus und schlugen mich auf den Rücken, bis ich überall blutete. Ich wollte gerade gestehen, da es zu schmerzhaft war und ich es nicht länger ertragen konnte. Die Erinnerung an die Worte von Herrn Chan sowie die Erklärung der Köchin, Frau Pheap, ermutigten mich jedoch, die grausame Folter auszuhalten. Sie hörten erst auf, uns zu foltern, als wir das Bewusstsein verloren. Die schrecklichste Foltermethode, die ich erlebt habe, war, als sie mir einen Plastiksack über den Kopf zogen und ihn mit Wasser füllten. Es ist unglaublich, dass sie Menschen so schreckliche Folterungen zugefügt haben.

Ich erinnere mich noch immer an alles, was mir passiert ist, und ich werde es nie vergessen. Wenn ich mich an all diese Erlebnisse erinnere, habe ich das Gefühl, dass ich wieder in dieser Situation bin und dass es mir wieder passiert. Ich fühle wieder den Schmerz. Ich merke, dass mein Herz anfängt, schnell zu schlagen. Ich spüre Verspannungen in meinem Kopf und in meinen Muskeln. Meine Zehen und Finger werden kalt, während mein Körper schwitzt. Ich muss tief einatmen und denke an meine Eltern, besonders an meine Mutter. Dann mache ich eine kleine Massage, trinke etwas Wasser und verlasse den Raum, so dass ich ein wenig Erleichterung spüre.“

Zum vollständigen Bericht von Kim so geht es hier (englisch).

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