Rostiger Stacheldraht spannt sich über die Laubengänge in dieser ehemaligen Schule in Phnom Penh. Die Roten Khmer betrieben hier ihr Sicherheitsgefängnis Nr. 21. Seit 1980 ist es ein Museum, in dem die Geschichte wie in einer Zeitkapsel überliefert ist. Obwohl in Kambodscha zahlreiche Massengräber mit fast 1,4 Millionen Toten entdeckt wurden, gibt es nur wenige größere Erinnerungsorte, die an die kommunistische Schreckensherrschaft unter Pol Pot erinnern.
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Die Wandtafel, an der früher kambodschanische Schüler unterrichtet wurden, hängt immer noch an der Wand. Doch die Roten Khmer funktionierten die Schule in Phnom Penh in ein Gefängnis um, das nur ganz wenige überlebten. Nach dem Einmarsch der Vietnamesen machte die Regierung daraus ein Museum. Heute wird der beklemmende Ort vor allem von Touristen besucht.
Das Gefängnis S-21, wie der Haftort offiziell hieß, wurde 1976 in einem Gymnasium eingerichtet. Dazu wurden die Klassenräume in Gefängniszellen umgewandelt und der gesamte Komplex mit einem Hochspannungszaun umgeben. Die Fassaden wurden mit Stacheldraht überzogen, damit sich die Häftlinge in den oberen Etagen nicht herunterstürzen konnten.
Inhaftiert wurden hier vor allem Offiziere, Staatsangestellte, Lehrer, Intellektuelle, Mönche, aber auch Rote Khmer, die des Verrats bezichtigt wurden. Oft wurden deren Familienangehörige gleich mit verhaftet. Viele der Inhaftierten wurden schwer gefoltert, um sie zu oft frei erfundenen Geständnissen zu zwingen. Anschließend wurden sie hingerichtet. Anfangs fand dies auf dem Gefängnisgelände statt, später auf einem alten Friedhof außerhalb der Hauptstadt, den sogenannten Killing Fields. Von den rund 18.000 Häftlingen überlebten nach Angaben des Museums gerade einmal zwölf.
Beim Einmarsch der vietnamesischen Truppen im Januar 1979 flüchtete das Gefängnispersonal. Zurück ließ es mehr als 4000 schriftliche Geständnisse und über 6000 Fotografien, die von der UNESCO inzwischen zum Weltdokumentenerbe erklärt wurden. Nur wenig später eröffnete die kambodschanische Regierung in dem leer stehenden Gefängnis mit Hilfe Vietnams ein Museum. Es wurde nach einer zu dem Gelände gehörenden Grundschule benannt und sollte die Grausamkeiten der Roten Khmer vor Augen führen. Bezüge zur marxistischen Ideologie, die auch nach dem Regimewechsel Staatsdoktrin blieb, stellte die Ausstellung nicht her.
Im ersten der insgesamt vier Gebäude sieht man mehrere ehemalige Klassenzimmer, in denen sich jeweils nur ein Eisenbett und eine Fußfessel zum Anketten der Häftlinge befinden. In diesen Räumen hielten die Roten Khmer ihre hochrangigen Gefangenen fest. Die übrigen Gebäude waren für die „normalen“ Häftlinge bestimmt. Die Klassenzimmer wurden dazu mit mannshohen Ziegelmauern in Dutzende ein bis zwei Quadratmeter große Zellen aufgeteilt. In den primitiven Verschlägen wurden die Häftlinge wie Vieh angekettet und durften keinerlei Laut von sich geben. Weitere Räume dienten als Massenzellen. Die Ziegelmauern wurden später teilweise entfernt, um Platz für die Ausstellung zu schaffen. An Holzgerüsten hängen dort nun unter anderem hunderte Fotos von Gefangenen und Ermordeten.
Im dritten Gebäude sind einige der Folterwerkzeuge ausgestellt, die bei den Verhören zum Einsatz kamen: eine überdimensionierte Wanne für das sogenannte Waterboarding, eine Apparatur zur Verabreichung von Stromstößen oder ein Tisch, auf dem die Finger eingeklemmt wurden, um den Gefangenen die Nägel zu ziehen. Auf dem einstigen Schulhof befindet sich zudem ein hoher Balken, an dem die Schüler früher an Ringen turnten, der aber von den Roten Khmern dazu genutzt wurde, die Gefangenen mit nach hinten gebogenen Armen nach oben zu ziehen. In der Nähe des Eingangs stehen drei Wassertröge, in die die Häftlinge so lange eingetaucht wurden, bis sie das Bewusstsein verloren. Ausgestellt wird auch die einstige Lagerordnung, in der es hieß: „Es ist verboten, während Auspeitschungen oder Elektroschocks zu weinen“.
Das Gefängnis S-21 war nur eines von insgesamt 196 Gefängnissen der Roten Khmer. Das Interesse der kambodschanischen Regierung an dem Ort ging auch bald zurück, was sich unter anderem im Verfall der Gebäude und der immer näher rückenden Bebauung niederschlug. Unterstützt wurde das Museum vor allem aus dem Ausland, unter anderem aus Deutschland. Auf diese Weise entstanden für die überwiegend internationalen Besucher ein Audioguide und eine mehrsprachige Website. Der Leiter der einstigen Haftanstalt, der ehemalige Lehrer Kaing Guek Eav, genannt „Duch“, wurde 1999 verhaftet. Erst 13 Jahre später wurde er rechtskräftig zu lebenslänglicher Haft verurteilt – als einziger Beteiligter an dem Massenmord.
Website des Tuol Sleng Genocide Museums
Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich
Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg
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Auf den ersten Blick könnte man das mit Bäumen bestandene Gelände für einen Park halten – wären da nicht überall Schilder, die die Besucher zur Ruhe auffordern. Tatsächlich handelt es sich um ein riesiges Massengrab, das die Roten Khmer einst am Rande der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh anlegten. In den bombentrichterähnlichen Vertiefungen der „Killing Fields“ kann man bis heute noch Knochenteile der bis zu 20.000 Opfer liegen sehen.
Ursprünglich befand sich an dieser Stelle ein chinesischer Friedhof. Die Roten Khmer nutzten den verlassenen Ort seit 1976, um Tausende Menschen mit Äxten, Stangen oder Dreschflegeln zu erschlagen. Anschließend verscharrten sie die Leichen in Massengräbern. Die meisten waren zuvor im Gefängnis S-21 in Phnom Penh inhaftiert gewesen. Mit verbundenen Augen und auf den Rücken gefesselten Händen wurden sie zwei bis dreimal pro Monat unter einer Plane mit Lkws hierhin gefahren.
Nach dem Ende des Pol-Pot-Regimes wurden Anwohner auf den Fäulnisgeruch der Leichen aufmerksam. Bei den daraufhin angeordneten Exhumierungen wurden die sterblichen Überreste von 8895 Opfern entdeckt. Ihre Schädel und Knochen wurden in einem hohen Turm hinter Glas aufgebahrt – ein buddhistischer Stupa, der heute das Zentrum der Gedenkstätte bildet. 2005 wurde der Erinnerungsort, der jährlich rund 250.000 Besucher zählt, für 15.000 US-Dollar pro Jahr an ein japanisch-kambodschanisches Unternehmen verpachtet. Die Firma unterhält und betreibt dafür den Gedenkort, so dass dem kambodschanischen Staat keine Kosten entstehen. Sie investiert aber auch in den Straßenbau und in ein Stipendienprogramm für bedürftige Studenten.
Die Gedenkstätte nennt sich offiziell Zentrum für Völkermordverbrechen Choeung Ek. Sie hat das Gelände mit kleinen Wegen erschlossen. Ein im Eintrittspreis enthaltener Audioguide erklärt den Besuchern in zehn Sprachen, was wo geschah: Dort kamen die Lastwagen mit den Gefangenen an, hier wurden sie in einem Holzverschlag „zwischengelagert“, an dieser Stelle hingen Lautsprecher mit Revolutionsgesängen, die die Schreie der Opfer bei den nächtlichen Exekutionen übertönen sollten. Die Spuren in der Rinde eines Baumes sollen von Babyköpfen stammen, die die Roten Khmer dagegen schlugen. Ein Stückchen weiter befindet sich ein Massengrab mit kopflosen Skeletten. Die Opfer seien geköpft worden, weil man ihnen vorwarf, Agenten Vietnams zu sein – getreu dem damaligen Propagandaslogan: „Körper Khmer, Kopf Vietnamese“.
Zu sehen ist davon kaum mehr etwas. Nach der Vertreibung der Roten Khmer, als in Kambodscha bitterste Armut herrschte, hat sich die Bevölkerung an den Überbleibseln der Hinrichtungsstätte bedient. Auch die Gruben der ausgehobenen Massengräber werden langsam unkenntlich. Denn bei den regelmäßigen sintflutartigen Regengüssen laufen sie nach und nach mit Schlamm voll, obwohl die Gedenkstätte sie mit Dächern zu schützen versucht. Wenn das Wasser wieder abfließt, bleiben jedes Mal Zähne, Knochen und Kleidungsstücke auf der Erdoberfläche zurück.
Zeugnis von den Verbrechen legen vor allem die mehr als 5000 Schädel ab, die in dem Turm in 17 Etagen aufgebahrt sind. Sie sind nach Alter und Geschlecht sortiert. Wenn man nah genug herantritt, kann man immer noch die Spuren der Schlagwerkzeuge erkennen. Mit Hilfe deutscher Wissenschaftler wurden die Schädel in den letzten Jahren professionell konserviert. Die Glasscheiben stehen nicht mehr offen, die Luft im Innern wird klimatisiert.
Auf dem Gelände befindet sich auch eine kleine Ausstellung. Hier sieht man nicht nur ein Foto des Gefängnischefs Kaing Guek Eav, der für die brutalen Exekutionen verantwortlich war. Auch verschiedene Schlagwerkzeuge, mit denen die Opfer getötet wurden, sind zu sehen. An der Wand hängen zwei schwarze Hosen und Hemden, deren einziger Schmuck ein rotes Halstuch ist – die Einheitskleidung der Roten Khmer.