Der Direktor des Tuol Sleng Genocide Museums, Chhay Visoth, präsentiert Unterlagen, die im Gefängnis S-21 in Phnom Penh gefunden wurden. Sie bestehen größtenteils aus Tausenden handschriftlichen Geständnissen und Lebensläufen, die die Inhaftierten verfassen mussten. Noch mehr Unterlagen hat das Dokumentationszentrum von Kambodscha zusammengetragen. Viele Verbrechen der Roten Khmer wurden allerdings niemals schriftlich dokumentiert.
Credit: Hubertus Knabe
Zwei Überlebende halten das Urteil gegen den ehemaligen Leiter des Gefängnisses S-21, Kaing Guek Eav, in die Höhe – Fall 001, wie er in Kambodscha genannt wird. Dem Gericht zufolge wurden unter ihm mindestens 12.273 Menschen gefoltert und hingerichtet. Bis der Chef der Todesfabrik der Roten Khmer 2010 verurteilt wurde, vergingen mehr als 30 Jahre. Dennoch ist das Urteil ein Schlüsseldokument der Aufarbeitung in Kambodscha.
Der Beschluss der Außerordentlichen Kammern in den Gerichten Kambodschas trägt das Datum vom 26. Juli 2010. Vom Umfang her könnte es eine Doktorarbeit sein. Auf 281 Seiten beschreibt es detailliert, was sich in dem Sondergefängnis zutrug – von seiner Schaffung im Oktober 1975 bis zu seiner Aufgabe im Januar 1979.
Die Liste der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das Gericht als erwiesen festgestellt hat, ist lang: die Hinrichtung von Ausländern, Kindern und hochrangigen Häftlingen; willkürliche Freiheitsberaubungen, Versklavung und Massenexekutionen; Folter, einschließlich Vergewaltigung, Nahrungsentzug und Verweigerung medizinischer Behandlung; Mangel an Hygiene, Blutentnahme und medizinische Experimente. Penibel listet das Gericht dabei auf, wie der Gefängnisbetrieb organisiert war und wer welche Aufgaben hatte. Auch die Rekrutierung und Schulung des Gefängnispersonals wird beschrieben.
Bei seinem Urteil kam dem Gericht zu Hilfe, dass sich der ehemalige Gefängnischef überwiegend geständig zeigte. So räumte der Angeklagte ein, dass die Vernehmungsbeamten vier gewalttätige Verhörtechniken anwenden durften: Prügel, Elektroschock, Erstickung mit einer Plastiktüte und "Waterboarding". Prügel sei dabei die häufigste Verhörtechnik gewesen. Die Aussagebereitschaft des Angeklagten wertete das Gericht als strafmildernd.
Im Laufe des Prozesses, so heißt es in dem Urteil, hätte die Kammer rund 1000 Dokumente geprüft. Viele der vorgelegten Unterlagen stammten aus dem Dokumentationszentrum von Kambodscha (DC-CAM). Die Nichtregierungsorganisation hat das weltweit größte Archiv über die Roten Khmer aufgebaut – mit über 155.000 Seiten Dokumenten und 6000 Fotografien. Entstanden ist es mit Hilfe der Yale University in den USA. Zwischen 1994 und 2012 betrieb die Universität ein Forschungsprojekt zum Völkermord in Kambodscha, das aus dem Cambodian Genocide Justice Act des amerikanischen Kongresses finanziert wurde.
Das Gericht verurteilte Kaing Guek Eav 2010 zu 35 Jahren Haft, die wegen seiner nicht rechtmäßigen Inhaftierung zwischen 1999 und 2007 um fünf Jahre gekürzt wurden. Aufgrund einer Berufung der Staatsanwaltschaft wurde das Strafmaß 2012 auf lebenslänglich erhöht. Auf Kosten des Gerichts wurden 10.000 Exemplare des Urteils und 17.000 Exemplare einer Zusammenfassung an alle Gemeinden sowie an Bibliotheken, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen in Kambodscha verteilt.
Im August 2014 wurden auch das ehemalige Staatsoberhaupt Kampucheas Khieu Samphan und der einstige Chefideologe der Roten Khmer, Nuon Chea („Bruder Nr. 2“), wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.
Eine englische Übersetzung des Urteils im Fall 001 finden Sie hier.
Urteil im Fall 002 (englisch)
Datenbank mit allen Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofes (englisch)
Forschungsprojekt der Yale University zum Völkermord in Kambodscha
Website des Dokumentationszentrum von Kambodscha (DC-CAM) (englisch)
Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich
Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg
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Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung