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Erinnerungsorte in Georgien

Die Fotos im Okkupationsmuseum in Tiflis sind wie aus einer anderen Welt. Sie zeigen das Leben der georgischen Oberschicht, die nach der Angliederung Georgiens an die Sowjetunion weitgehend ausgerottet wurde. Trotz dieser traumatischen Erfahrung gibt es kaum Orte, die an die kommunistischen Verbrechen erinnern. Im Gegenteil: In Gori verklärt ein Museum bis heute den Diktator Josef Stalin.

Credit: Hubertus Knabe

Das Massengrab von Chelwatschauri

Als die orthodoxe Kirche 2017 in Batumi Teile eines Militärgeländes übernahm, machte sie einen grausamen Fund: Im Erdreich stieß man auf die sterblichen Überreste von mehr als 150 Menschen. Bei genauerer Inspektion der Knochen stellte sich heraus, dass sämtliche Tote die Hände auf dem Rücken trugen und ihre Schädel oberhalb des Nackens zwei Löcher aufwiesen. Untersuchungen ergaben, dass es sich um Hinrichtungsopfer der sowjetischen Geheimpolizei handelt. Doch ein würdiges Gedenken gibt es für sie bis heute nicht.

Am 5. April 2019 veröffentlichte die Diözese Batumi und Lazeti eine Erklärung, die es in sich hatte: „Gemäß der Anordnung des georgischen Verteidigungsministeriums wurde ein Teil des Bereichs der Militärbasis Nr. 3 in der Pridon-Khalvashi-Straße Nr. 338 zur vorübergehenden Nutzung an das georgische Patriarchat übertragen. Auf diesem Gebiet wurden vier Grabstätten von etwa 150 Personen entdeckt, die Opfer der Repressionen von 1937-1938 und der sogenannten Stalin-Listen wurden.“

Die Erklärung, der auch 50 Fotos von Knochenfunden beigefügt waren, sorgte für erhebliche Aufregung. Georgische Medien behaupteten, es handelte sich gar nicht um Opfer des Kommunismus, sondern um die sterblichen Überreste türkischer Soldaten. Das private Institut für die Entwicklung der Informationsfreiheit (IDFI), das die stalinistischen Verbrechen in Georgien erforscht, kritisierte, dass bei der Bergung der Toten keine Historiker einbezogen worden seien. Eine eindeutige Zuordnung der Opfer sei so kaum mehr möglich.

Statt die Toten, wie eigentlich geplant, ordentlich zu beerdigen, beschlossen die Kirchenverantwortlichen deshalb, sie in Holzsärge zu legen und für weitere Untersuchungen im Keller einer Kirche einzulagern. In einer Erklärung wiesen sie daraufhin, dass alle Schädel am Hinterkopf von Kugeln durchschlagen seien. Um türkische Soldaten könne es sich schon deshalb nicht handeln, da zwischen den Knochen sowjetische Münzen, ein Kreuz sowie Reste ziviler Kleidung gefunden worden seien.

Die Regierung der georgischen Autonomen Republik Adscharien richtete daraufhin eine Sonderkommission ein, die die Toten identifizieren und für eine würdige Bestattung sorgen sollte. Auch ein Denkmal sollte für sie errichtet werden. Doch schon bald ging das Interesse der Behörden zurück, nach Ausbruch der Corona-Pandemie kam es ganz zum Erliegen. Auf Initiative der Kirche legten lediglich Mitarbeiter der Universitäten Texas und Michigan 2021 noch ein weiteres Grab frei, so dass die Zahl der Toten auf 180 stieg.

Erst Anfang 2022 begannen auf Initiative des IDFI archäologische und anthropologische Untersuchungen durch ausgewiesene Experten. Mit Unterstützung der schwedischen Entwicklungshilfeagentur Sida legten Mitarbeiter des polnischen Instituts für Nationale Erinnerung (IPN) ein sechstes Grab frei. Sie entdeckten darin die sterblichen Überreste von 29 weiteren Menschen und über 200 persönliche Artefakte. Darüber hinaus stellten sie fest, dass die Leichen mit Kalk überschüttet worden waren eine häufig angewandte Methode der sowjetischen Geheimpolizei, mit der sie den Zersetzungsprozess beschleunigen wollte. Zwar war eine eindeutige Identifizierung der Toten mittels DNA-Untersuchungen bislang nicht möglich. Doch ihre Zahl stimmt exakt mit der Anzahl der Personen überein, die in einem sowjetischen Vollstreckungsbericht vom 15. März 1938 genannt werden. Ein Denkmal, das an ihr Schicksal erinnert, wurde bislang nicht errichtet.

Links

Archäologischer Bericht über die Exhumierungen auf der Militärbasis Nr 3 (englisch)

Bericht des IDFI über das Massengrab Nr. 6 in Chelwatschauri (englisch)

 

Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich

Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg

Twitter: @afterdictatorship
Instagram: After the dictatorship

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Museum der sowjetischen Besatzung

Von einer Galerie fällt der Blick auf den Ausstellungssaal in Tiflis. Auf 700 Quadratmetern wird hier die Geschichte Georgiens von 1921 bis 1991 erzählt. Das 2006 eröffnete Museum der sowjetischen Besatzung schildert, wie die Rote Armee vor einem guten Jahrhundert in Georgien einmarschierte und das Land bald darauf Teil der UdSSR wurde. Es folgten 70 Jahre Diktatur – für deren schlimmsten Auswüchse ausgerechnet zwei Georgier verantwortlich waren.

Der Sozialdemokrat Karl Kautsky widmete dem Land im fernen Kaukasus eine eigene Schrift: „Georgien: Eine sozialdemokratische Bauernrepublik“. Der Staat, der sich am 26. Mai 1918 für unabhängig von Russland erklärt hatte, war in seinen Augen ein Musterbeispiel für soziale Reformen in einer industriell kaum entwickelten Gesellschaft. Dass die Bolschewiki das Experiment drei Jahre später beendeten und die Demokratische Republik Georgien gewaltsam annektierten, bestätigte Kautsky in seiner Ablehnung des Kommunismus. 

Der Gründungstag der kurzlebigen Republik ist heute Nationalfeiertag in Georgien. An diesem Tag wurde 2006 in der Hauptstadt Tiflis das Museum der sowjetischen Besatzung eröffnet. Im Zuge der sogenannten Rosenrevolution war zuvor der frühere sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse vom Präsidentenamt zurückgetreten. Nachfolger wurde der westlich orientierte Reformer Micheil Saakaschwili. Nach dem Vorbild der Okkupationsmuseen in Lettland und Estland ließ dieser eine Ausstellung kreieren, die die Unterdrückung Georgiens während der Sowjetherrschaft schilderte.

Die Exposition befindet sich in einer säulengetragenen Halle am mondänen Rustaweli-Boulevard. Im ersten Teil wird die kurze Zeit der von Kautsky gerühmten sozialdemokratischen Republik Georgien geschildert – zu Sowjetzeiten war dies ein Tabu. Anschließend geht es um den Einmarsch der Roten Armee und die darauf folgenden Jahrzehnte der Fremdbestimmung. Anhand eindrucksvoller Objekte wie eiserne Gefängnistüren oder spezielle Hinrichtungspistolen der sowjetischen Geheimpolizei wird vor allem der allgegenwärtige Terror gezeigt. Viele Sozialdemokraten, Adlige und ein Großteil der georgisch-orthodoxen Priesterschaft wurden damals hingerichtet.

Die anspruchsvoll inszenierte Ausstellung zeigt zahlreiche Fotos, Filmausschnitte und Dokumente. Zu sehen sind unter anderem Hinrichtungsbefehle und weitere Unterlagen aus den Beständen der Geheimpolizei. Viele der rund 3.000 Exponate wurden von Opferorganisationen und Angehörigen der Verfolgten zur Verfügung gestellt. Dass mit Josef Stalin und seinem Statthalter in Tiflis, dem späteren Innenminister Lawrenti Beria, ausgerechnet zwei Georgier die Hauptverantwortung für den Terror trugen, wird in der Ausstellung jedoch nur am Rande erwähnt. Stattdessen erscheinen die stalinistischen Verfolgungen wie eine Naturkatastrophe.

Die Realisierung der Ausstellung kostete umgerechnet etwa 550.000 US-Dollar. Finanziert wurde sie aus dem Fonds des Präsidenten. Organisatorisch gehört das Museum zum Georgischen Nationalmuseum, das im selben Gebäude noch weitere Ausstellungen zeigt. Kurz nach der Eröffnung soll sich der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem georgischen Amtskollegen über die nationalistische Ausrichtung des Museums beschwert haben. Dabei habe er darauf verwiesen, dass sowohl Stalin als auch Berija Georgier gewesen seien. Saakaschwili soll ihm daraufhin ein sarkastisches Angebot gemacht haben: Finanzmittel, um in Moskau ein Museum der georgischen Besatzung zu schaffen.

Stalin-Museum in Gori

Ernst, aber freundlich schaut der Mann mit dem markanten Schnauzbart auf die Besucher. Solche Büsten des Diktators Josef Stalin standen in der Sowjetunion in fast jedem öffentlichen Gebäude. Nach seinem Tod wurden sie im Zuge der Entstalinisierung größtenteils beseitigt. Doch im georgischen Gori, Stalins Geburtsstadt, ehrt immer noch ein ganzes Museum den Mann, der Millionen Menschen ermorden ließ. Die 1957 eröffnete Ausstellung hat bislang alle politischen Wechsel fast unverändert überlebt.

Es war wohl ein Versuch, sich bei Stalin einzuschmeicheln: 1937 ließ Lawrenti Beria das armselige Haus, in dem der Diktator 1878 in Gori zur Welt gekommen war, zu einem Gedenkhaus umbauen. Der Chef der Kommunistischen Partei und ihres Geheimdienstes in Georgien ließ dazu die Hütte in die Mitte des Ortes versetzen. Anschließend wurde das Häuschen, in der einst Stalins trunksüchtiger Vater als Schumacher gearbeitet hatte, mit einem von Säulen getragenen Gebäude ummantelt. Bei Stalin kam die Ehrenbezeugung offenbar an: Wenig später wurde Beria nach Moskau berufen, um Chef der sowjetischen Geheimpolizei zu werden. 

Stalins Geburtshaus steht immer noch dort, wo Berija es 1937 hinstellen ließ. Es ist Teil des Stalin-Museums in Gori, von dem es liebevoll gepflegt wird. Besucher können einen Blick in das kleine Zimmer werfen, das Stalins Familie zu Dritt bewohnte. Im Nachbarraum, in dem der Vermieter lebte, sind persönliche Gegenstände von Stalins Mutter ausgestellt. Das eigentliche Stalin-Museum befindet sich hingegen nebenan – in einem prächtigen zweistöckigen Palast im kaukasischen Zuckerbäckerstil.

Das 1957 eröffnete Museum beherbergt eine über 3000 Quadratmeter große Ausstellung. Ihr einziges Thema ist Josef Stalin. Betritt man das Gebäude, lenkt ein mit rotem Marmor verkleideter Treppenaufgang den Blick hinauf zu einer überlebensgroßen Stalin-Statue. Im Obergeschoss befindet sich dann in luxuriös ausgestatteten Sälen eine seit ihrer Einrichtung fast unveränderte Dauerausstellung. In den ersten drei Sälen widmen sich historische Fotos und propagandistische Gemälde Stalins Leben und Wirken. Im vierten Raum wird seine Totenmaske zwischen Marmorsäulen wie eine Reliquie präsentiert. Im fünften Saal sind die Geschenke zu sehen, die ihm im Laufe seiner Regentschaft überreicht wurden, während im sechsten Saal die Besucher sein ehemaliges Arbeitszimmer besichtigen können. Das Museum rühmt sich unter anderem, Stalins letzte Packung Zigaretten und seinen auf vielen Bildern zu sehenden Marschallmantel auszustellen. Neben dem Gebäude steht zudem sein persönlicher Eisenbahnwaggon.

Im Zuge der Reformen in der Sowjetunion wurde das Museum 1989 geschlossen, einige Jahre später jedoch wieder eröffnet. 2008, nach dem Einmarsch russischer Truppen in den Norden des Landes, kündigte der georgische Kulturminister an, den Ort in ein „Museum der russischen Aggression“ umzuwandeln. Nach langen Diskussionen stimmte die Stadt Gori 2012 jedoch gegen eine Neugestaltung. Lediglich in einem Raum neben der Treppe wird seit 2010 an die Opfer Stalins sowie des russisch-georgischen Krieges von 2008 gedacht. Unter Präsident Micheil Saakaschwili wurde 2010 in einer Nacht- und Nebel-Aktion auch die riesige Stalin-Statue in Gori demontiert, doch Proteste führten dazu, dass sie später prominent vor dem Museum wieder aufgestellt wurde. Eine weiteres Relikt  der Vergangenheit erwartet den Besucher schon bei der Ankunft: In einem einst für Stalin errichteten Wartesaal am Bahnhof von Gori steht eine überlebensgroße Statue des Diktators - so blitzblank gewienert, als wäre er immer noch an der Macht.

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