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Dokumente zu Georgien

Viel ist es nicht, was von den Beständen der sowjetischen Geheimpolizei in Georgien übrig geblieben ist. Zahlreiche Unterlagen brachte der KGB nach Moskau, der Rest wurde während des Bürgerkrieges Ende 1991 in Brand gesteckt. Die verbliebenen Dokumente von KGB und Zentralkomitee liegen heute im Archiv des Innenministeriums. Die übrigen Regierungsakten verwaltet das Nationalarchiv.

Die georgische Freiheitscharta

Eigentlich dürfte es Straßennamen wie die Stalin-Avenue in Gori gar nicht geben. Ein Gesetz aus dem Jahr 2011 sieht nämlich vor, „die Symbole und Namen des kommunistischen totalitären Regimes von Kultgebäuden, Denkmälern, Denkmälern, Basreliefs, Inschriften, Straßen, Plätzen, Dörfern und Siedlungen zu entfernen.“ Das Gesetz mit dem Namen Freiheitscharta sollte auch frühere kommunistische Kader aus dem Staatsapparat entfernen. Doch von den hochgesteckten Zielen wurde kaum etwas verwirklicht.

20 Jahre dauerte es, bis in Georgien das erste Gesetz zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Kraft trat: Am 31. Mai 2011 unterzeichnete der damalige Präsident Micheil Saakaschwili die sogenannte Freiheitscharta. Bis dahin hatte das georgische Parlament lediglich ein Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer politischer Verfolgung verabschiedet. Das neue Gesetz enthielt erstmals weitgehende Vorschriften zur Entkommunisierung.

Eingebracht hatte die Freiheitscharta der Archäologe Gia Tortladze. Der Oppositionspolitiker hatte bereits 2009 vergeblich den Versuch unternommen, ein Gesetz zur Durchleuchtung (Lustration) des Staatsapparates auf den Weg zu bringen. Diesmal nahm er in den Entwurf auch Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung des Terrorismus" auf – wie die russischen Infiltrationsversuche nach der Besetzung von Südossetien und Abchasien genannt wurden. Jetzt stimmte auch Saakaschwilis Partei Vereinigte Nationale Bewegung zu.

Auf diese Weise entstand ein Gesetz, das sehr unterschiedliche Ziele verfolgt. So verpflichtet Artikel 4 die Schlüsselministerien, die Nationalbank und den Staatssicherheitsdienst, regelmäßig über Anzeichen terroristischer Aktivitäten zu informieren. Artikel 5 sieht eine umfassende Videoüberwachung der Staatsgrenzen Georgiens und anderer strategischer Objekte vor, um die illegale Einfuhr von Waffen, Munition und Sprengstoff zu verhindern. Artikel 6 schreibt nicht näher definierte Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vor.

Um die Aufarbeitung der Vergangenheit geht es erst in Artikel 7. Dieser verlangt die Einrichtung einer Kommission beim georgischen Staatssicherheitsdienst. Sie soll staatsgefährdende Verbrechen verhüten helfen, aber auch eine Datenbank mit den Namen ehemaliger sowjetischer Geheimdienstmitarbeiter und kommunistischer Spitzenfunktionäre führen. Frühere KGB-Mitarbeiter werden verpflichtet, sich innerhalb von sechs Monaten bei der Kommission schriftlich zu offenbaren.

Dem Gesetz zufolge ist diesen Personen eine Beschäftigung in staatlichen Schlüsselpositionen, im Verteidigungs- und Innenministerium und einigen weiteren Ämtern untersagt. Haben sie eines der genannten Ämter inne, müssen sie dieses innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten des Gesetzes niederlegen. Zudem muss die Kommission vor jeder Neueinstellung oder Kandidatur für ein Spitzenamt konsultiert werden. Weigert sich eine Person, den Bestimmungen Rechnung zu tragen, sollen ihre Namen öffentlich gemacht werden. Außerdem hat die Kommission die Aufgabe, Informationen über totalitäre kommunistische oder nationalsozialistische Propaganda in Georgien zu sammeln und die Verantwortlichen zur Beseitigung aufzufordern.

Umgesetzt wurde davon nur wenig. Die Kommission konstitierte sich erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes. In den folgenden anderthalb Jahren kam sie nur ein einziges Mal zusammen, obwohl eine Verordnung vorschrieb, alle drei Monate eine Sitzung durchzuführen. Als sich das Institut für die Entwicklung der Informationsfreiheit (IDFI) 2015 nach der Kommission erkundigte, erieß das zuständige Innenministerium eine neue Verordnung, in der die Vorschrift zur Durchführung regelmäßiger Sitzungen fehlte. Zudem setzte es eine neue Kommission ein, der ausschließlich leitende Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes angehörten, obwohl laut Gesetz auch Parlamentarier darin mitwirken können. Im selben Jahr erklärte das Verfassungsgericht schließlich den zeitlich unbefristeten Ausschluss ehemaliger kommunistischer Funktionäre von staatlichen Ämtern für verfassungswidrig. 

Wie das IDFI erfuhr, wandte sich die Kommission zwischen 2017 und 2019 in gerade einmal 37 Fällen an die zuständigen Stellen, um totalitäre Symbole zu beseitigen. Wie viele Personen in die Datenbank aufgenommen und wie viele auf eine Geheimdienst- oder Funktionärstätigkeit überprüft worden waren, teilte der Staatssicherheitsdienst nicht mit. Nach seinen Angaben gab es in den Jahren 2016 und 2017 jedoch keinerlei Verstöße gegen die Bestimmungen. In einem Evaluationsbericht vom Dezember 2020 resümierte das IDFI: „Die interessanteste Tatsache ist, dass nach Angaben des Staatssicherheitsdienstes in den Jahren 2017-2019 keine einzige Sitzung der Kommission ‚Freiheitscharta‘ stattfand.“

Zum Wortlaut des Gesetzes geht es hier (englisch).

Links

Website des Georgischen Nationalarchivs (englisch)

Website des Archivs des georgischen Innenministeriums (englisch)

Überblick über Archivbestände zur Sowjetära in Georgien (englisch)

Die Geheimdienstforscherin Polly Corrigan über Archive der politischen Polizei in der Ukraine und Georgien (englisch, begrenzter Zugang)

Evaluierungsbericht zur Arbeit der Freiheitscharta-Kommission 2017-2019 (englisch)

 

Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich

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