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Zeitzeugenaussagen aus Tunesien

Der Hintereingang des tunesischen Innenministeriums war für viele Verfolgte eine Art Eingang zur Hölle. Nachdem sie dieses Tor durchschritten hatten, wurden sie oft schwer gefoltert und kamen erst Jahre später wieder frei. Die Kommission für Wahrheit und Würde, die fünf Jahre lang die Menschenrechtsverletzungen in Tunesien untersuchte, führte fast 50.000 Anhörungen durch. Im Abschlussbericht von 2019 wird auch der damalige Präsident Béji Caïd Essebsi beschuldigt, in den 1960-er Jahren als Chef des Sicherheitsdienstes und als Innenminister Teil des „Systems der Tyrannei“ gewesen zu sein.

„Sie zwingen einen, imaginäre Dinge zu gestehen“

Sicherheitskräfte gehen im Januar 2011 vor dem tunesischen Innenministerium gegen Demonstranten vor. Vier Jahre zuvor wurde Béchir Mesbahi in dem Gebäude schwer gefoltert. Im Alter von 19 Jahren wurde er in der Stadt Sousse verhaftet und nach Tunis gebracht. Im Innenministerium musste er 32 Tage lang in einem Korridor auf einem Stuhl sitzen. In einer französischen Dokumentation über Folter in Tunesien schildert er, wie er dort gequält wurde.

„Vor meiner Verhaftung hatte ich einen Verkehrsunfall, bei dem ich eine Kopfverletzung erlitten hatte, die mich zu drei Operationen an meiner rechten Hand zwang. Trotzdem wurde ich mit verschiedenen Foltermethoden konfrontiert: Schläge, Elektroschocks und Aufhängung an der Decke, in der Position eines "Grillhähnchens" (im Original: "poulet rôti"). Der Direktor der Staatssicherheit steckte mir eine Waffe in den Mund und drohte, mich umzubringen, wenn ich mich weigerte, ihnen zu helfen. […]

Ein Arzt versorgte uns täglich, um die Spuren der Folter zu reduzieren. Er massierte meine Füße und Beine, um die Spuren der Qualen zu beseitigen, die ich erlitten habe... Ich hörte auch Mokhles Ammar aus voller Kraft unter der Folter schreien. Er war es, der meinen Namen genannt hatte, aber als ich ihn sah, habe ich ihn nicht wiedererkannt, so deformiert war sein Gesicht. Die Folterer zwingen einen, imaginäre Dinge zu gestehen, die nichts mit der Realität zu tun haben... Selbst diejenigen, die nicht in die Moschee gehen, um zu beten, wurden verhaftet...

Während der Sitzungen, als ich an der Decke aufgehängt wurde, habe ich mehrmals das Bewusstsein verloren. Sie nahmen mich dann runter, besprühten mich mit Wasser und schwangen mich von rechts nach links... Die Zahl der Offiziere, die für Verhöre und Foltersitzungen zur Verfügung standen, war beeindruckend. Sie hängten uns eine Art Kapuze aus Stoffstücken um, befahlen uns, die Augen zu senken, damit wir nichts sehen und vor allem – nicht die Gesichter der Folterer in Erinnerung behalten.“

Quelle: Rapport sur la torture en Tunisie, S. 115f. (eigene Übersetzung)

„Sie quetschten meine Hoden bis zur Ohnmacht“

Gelangweilt stehen Uniformierte vor dem weit geöffneten Eingang des tunesischen Innenministeriums. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass hinter diesen Mauern jahrzehntelang Menschen brutal gefoltert wurden. Eines der Opfer war der damals 25-jährige Zied Ben Jemaa. Im April 2005 wurde er verhaftet und anderthalb Jahre später vom Strafgericht in Tunis zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. In einer französischen Dokumentation über Folter in Tunesien erinnert sich der aktive Fußballer an die Misshandlungen.

„Ich wurde am 18. April 2005 um 01.30 Uhr zu Hause verhaftet. 13 Tage lang wurde ich an einen geheimen Ort festgehalten, ohne dass meine Familie oder mein Anwalt wussten, wo ich war. Dort, in den Räumen des Innenministeriums, habe ich alle möglichen und vorstellbaren Formen der Folter erlitten: Ich wurde mit den Händen an der Decke aufgehängt und mit Schlagstöcken und Gummistöcken auf alle Körperteile geschlagen. Die Folterer malträtierten vor allem die Region unterhalb des Bauches. Bis heute habe ich dort intensive Schmerzen, vor allem beim Urinieren. Trotz meiner eindringlichen Bitten wurde ich niemals medizinisch untersucht.

Der Folterer Adberrahmane Guesmi – Spitzname "Bokassa" – und sein Team zeichneten sich durch die Kunst aus, mich zu quälen. Sie quetschten meine Hoden mehrmals bis zur Ohnmacht und verbrannten meine Schamhaare. Um mich zu zwingen, ihnen das Haus von Ezzeddine Abdellaoui zu zeigen, der in derselben Angelegenheit inhaftiert war, brachten mich die Polizisten spät in der Nacht nach Karthago und quälten mich in einem verwaisten Viertel vor dem „Café des Frères" auf offener Straße. "Wir nehmen Deinen Kopf als Ball!", erklärten sie mir, bevor sie mich zu Boden warfen, auf alle Körperteile schlugen und dabei hauptsächlich auf den Kopf zielten.

Die Folterer, die mich gequält haben, verwenden falsche Namen – wie "El Haj", "Sharon", "Zouheir" oder "Abdelmajid". Sie werden von "Bokassa" geleitet. Am 13. April 2007 habe ich bei der Staatsanwaltschaft Tunis unter der Nummer 7021177/2007 eine Beschwerde gegen meine Folterer und alle Verantwortlichen für meine Misshandlung eingereicht. Doch keine einzige Maßnahme wurde auf diese Beschwerde hin ergriffen. Das hat mich zu einer Reihe von Hungerstreiks veranlasst. Damit wollte ich sowohl gegen die Gleichgültigkeit der Gefängnisverwaltung protestieren, die es ablehnte, mich ärztlich behandeln zu lassen, als auch gegen die Justiz, die sich weigerte, die Verantwortlichen für die unmenschlichen und erniedrigenden Handlungen zu verfolgen.

Meinen letzten Hungerstreik habe ich am 10. September (2007) im Gefängnis Borji El Amri begonnen. Ich protestiere damit gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft von Tunis, eine Untersuchung der Folterungen einzuleiten, die ich während meiner dreizehntägigen Haft im Innenministerium erlitten habe. Da ich schwere körperliche Schäden an den Genitalien zurückbehalten habe, beanspruche ich gleichzeitig das Recht auf medizinische Untersuchung und Behandlung. Aus denselben Gründen hatte ich bereits am 21. März 2007 einen 40-tägigen Hungerstreik begonnen. Auch während meiner Anhörung am 19. März 2007 vor der vierten Strafkammer, die für meinen Fall zuständig ist, habe ich die grausame Folter angeprangert, deren Opfer ich wurde – und den Hauptfolterer, der alle Operationen überwachte.“

Quelle: Rapport sur la torture en Tunisie, S. 127f. (eigene Übersetzung)

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