matomo

Zeitzeugenaussagen aus Georgien

Viel ist es nicht, was an die Niederschlagung des anti-sowjetischen Aufstands 1924 erinnert. Einzelne Marmorplatten mit den Bildern der Hingerichteten sind bereits abgefallen. Obwohl der stalinistische Terror in Georgien zahlreiche Opfer forderte, gibt es kaum Bemühungen, die Erinnerungen der Überlebenden für die Nachwelt festzuhalten.

Credit: Hubertus Knabe

"Schließlich bin ich einfach liegen geblieben"

So oder so ähnlich muss die Dunkelzelle ausgesehen haben, in die Nora Pfeffer 1944 in Tiflis eingesperrt wurde. Die unbeleuchtete Kammer befindet sich im Keller des ehemaligen Hauptquartiers der sowjetischen Geheimpolizei. Der NKWD hatte die 23-jährige Deutschrussin im November 1943 verhaftet und acht Monate in Einzelhaft gehalten. Weil sie trotz der ständigen Nachtverhöre nicht die gewünschten Aussagen machte, kam sie nach einiger Zeit in den verschärften Arrest. Am Ende wurde die junge Lehrerin und Mutter wegen antisowjetischer Agitation zu zehn Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Verbannung verurteilt. In einem Interview erinnerte sie sich 1997 an ihre Haft.

"Das erste was man machte, man fotografierte mich en face und [im] Profil. Und dann nahm man mir die Fingerabdrücke. […] Dann kam ich in einen anderen Raum, da musste ich mich splitternackt ausziehen. Und zwei Frauen, sie untersuchten meinen Körper, alle Öffnungen, die es in dem Körper gab, ob ich nicht irgendwo etwas versteckt hätte. Also, diese Erniedrigung gleich von Anfang an, die furchtbare Erniedrigung.

Und dann steckte man mich in einen Schrank. Da war eine kleine Bank, wo ich mich hinsetzen konnte, eine schmale, und so ein Tischchen. Und da saß ich nun, ich weiß nicht, wie viel Stunden. Gleich von Anfang an war [mein Gedanke]: Ich möchte am Leben bleiben! Denn außer meiner Mutter hatte ich niemanden gekannt, der zurückgekehrt wäre und am Leben geblieben wäre. Und da wurde die Tür geöffnet. Man gab mir eine Schale, eine irdene Schale und einen Holzlöffel. Da war irgendeine Balanda drin, Wassersuppe mit irgendetwas schwimmt da drin, schwarze Rübenblätter. Und ich aß alles auf. Damit begann mein Projekt, daß ich am Leben bleibe, ja.

Ich weiß nicht, nach wie viel Stunden machte man auf und dann brachte man mich in meine Zelle. Die Zelle war im vierten Stock. Sie war ganz lehmig, schwarz die Wände, dreckig. Eine ganz schmale Zelle. Da hatte Platz eine Bettstelle, zwei drei Bretter lagen da drauf, kein Kissen, keine Decke, nichts, nichts, einfach die Bretter. Und dann ein Fensterchen. Und da war ein Tisch noch, ein Schemel, ein Krug, ein irdener Krug, zwei irdene Schalen, ein Holzlöffel, ein kleines Krüglein als Tasse. Und in der Ecke an der Tür stand eine Parascha, das ist das Klo. Also ein größerer Kübel mit zwei Henkeln war er und darüber so ein Brett aus Furnierholz. Ich weinte furchtbar, ich weinte um meinen Sohn. Das war für mich das aller Schlimmste. Mein dreijähriges Söhnchen ist allein geblieben. Und außerdem machte ich mir Gedanken, was sie von mir wollten.

Jede Nacht wurde ich zum Untersuchungsrichter gerufen und gegen Morgen wurde ich dann zurückgebracht. Der Untersuchungsrichter hieß Markarow. Man fragte mich ständig nach irgendeiner Organisation und nach Flugblättern und nach noch etwas und nach Papieren, nach irgendwelchen Schlüsseln. Ich hatte keine Ahnung davon, was das eigentlich sein könnte. Das ging so einige Monate. Und ich sagte zu allem immer nein. Immer nein, nein, nein, nichts, nichts, nichts.

[Schließlich] hat er mich in den Karzer gesteckt. So ein Bunker unten, es ist schrecklich kalt, ist es dort, im kalten Karzer. Da sind Frösche dort drin und dreckig der Boden. Und es stinkt nach Urin und nach Exkrementen. Und da kam ich dorthin. Im Keller war das, alles unten im Gewölbe. Und dann habe ich, am Anfang hab ich gesungen, gesungen, gesungen, gesungen, dann konnte ich schon nicht mehr. Und dann habe ich mich an die Wand gelehnt, an diese eklige glitschige Wand, wo alles mögliche Ungeziefer lief. Dann ging ich in die Hocke, und dann konnte ich auch schließlich nicht mehr. Ich war ja schon geschwächt durch die nächtlichen Verhöre. Und schließlich bin ich einfach liegen geblieben, in diesem Dreck und alledem. Ich konnte nicht mehr.“

Zum vollständigen Bericht von Nora Peffer, der auch als Audio vorliegt, geht es hier.

Links

Der Literaturkreis der Deutschen aus Russland über die Schriftstellerin Nora Pfeffer

Die Traumaforscherin Darejan Jana Javakhishvili über das sowjetische Erbe im heutigen Georgien (englisch)

Georgische Politikwissenschaftler über Erinnerungspolitik im post-sozialistischen Georgien (englisch)

Die Politikwissenschaftlerin Tamar Karaia über Erinnerungsstrategien im heutigen Georgien (englisch)

 

Nach der Diktatur. Instrumente der Aufarbeitung autoritärer Systeme im internationalen Vergleich

Ein Projekt am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg

Twitter: @afterdictatorship
Instagram: After the dictatorship

Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

TYPO3-Umsetzung & TYPO3-Webdesign: NetShot